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EuGH-Generalanwalt tritt für weitgehende Verpflichtung von Facebook zur Entfernung illegaler Inhalte ein

Wer Opfer von Hasskommentar oder anderen Rechtsverletzungen auf Facebook und Co. wird, braucht sich dies natürlich nicht gefallen lassen. Ein Vorgehen gegen den Rechtsverletzer kommt aber oft zu spät. Liegt es doch in der Natur der sozialen Netzwerke, dass Inhalte durch „teilen“ blitzartig über eine unbegrenzte Anzahl an Accounts verbreitet werden können. Der Rechtsverletzer selbst hat es dann gar nicht mehr in der Hand die Geister, die er rief, wieder loszuwerden. Die technischen Möglichkeiten dazu hat nur der Betreiber des sozialen Netzwerkes. Wie weit geht aber dessen Verpflichtung, illegale Inhalte zu identifizieren und zu löschen?

Diese Frage hat der Oberste Gerichtshof im Fall Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook Ireland Ltd (C-18/18) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt. Die Entscheidung des EuGH steht noch aus. Der europäische Generalanwalt, dem der EuGH in vielen Fällen folgt, hat aber nun seine Stellungnahme abgegeben: Nach ihm sollten nationale Gerichte einem sozialen Netzwerk mittels einstweiliger Verfügung verpflichten können, nicht nur das verletzende Posting selbst, sondern auch alle Inhalte, die mit einem illegalen Posting identisch sind, ausfindig zu machen und zu löschen, und zwar unabhängig davon, ob sie vom gleichen Nutzer stammen. Weiters könne Facebook verpflichtet werden, auch sinngleiche Postings desselben Nutzers zu löschen, nicht aber solche von anderen Nutzern. Nationale Gerichte hätten es überdies in der Hand diesen Verpflichtungen weltweite Geltung zu verleihen.

Hintergrund

2016 postete ein Facebook Nutzer einen Artikel mit dem Titel „Grüne: Mindestsicherung für Flüchtlinge soll bleiben“. Dadurch wurde eine Vorschau des Artikels generiert, die ein Bild von der damaligen Klubobfrau der Grünen Eva Glawischnig zeigte. Der Nutzer versah seinen Post mit einem herabwürdigenden Begleittext, in dem er Glawischnig unter anderem als korrupt und als „miese Volksverräterin“ bezeichnete.

Nachdem sich Facebook auch nach einer Beschwerde weigerte, den Beitrag zu löschen, beantrage Glawischnig eine einstweilige Verfügung. Das Handelsgericht Wien gab der einstweiligen Verfügung statt und sprach aus, dass das Posting sowohl eine Ehrenbeleidigung (§ 1330 ABGB) als auch eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild (§ 78 UrhG) sei. Eine Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung sei ohne Konnex zu einer politischen Debatte unzulässig. Facebook blockierte daraufhin den Zugang zu dem Inhalt, allerdings nur von Österreich aus.

In zweiter Instanz bestätigte das Oberlandesgericht Wien, dass Facebook verpflichtet sei, alle identischen Inhalte zu löschen, und wies den Antrag von Facebook, die Verfügung auf Österreich zu beschränken, ab. Sinngleiche Äußerungen müsse Facebook nach Ansicht des Oberlandesgerichts aber nur löschen, wenn Dritte diese melden.

Der OGH legte in der Folge dem EuGH die Frage vor, ob einen Host-Provider wie Facebook dazu verpflichtet werden kann, nicht nur rechtsverletzende Inhalte von denen der Host-Provider bereits Kenntnis hat (etwa wegen einer Nutzerbeschwerde) zu löschen, sondern auch (i) identische Inhalte vom selben oder anderen Nutzern oder sogar (ii) sinngleiche Informationen vom selben oder anderen Nutzern zu löschen und (iii) ob diese Verpflichtung weltweit gelten könne.

Die E-Commerce Richtlinie

Nach der E-Commerce Richtlinie (ECR) ist die Haftung von Host-Providern wie Facebook beschränkt. Host-Provider sind Plattformen die im Wesentlichen nur von Nutzern eingegebene Inhalte speichern und dabei keine aktive Rolle spielen, die ihnen Kenntnis und Kontrolle über die Inhalte ermöglichen würde. Solche Host-Provider sind nicht für Inhalte verantwortlich, solange sie nicht davon Kenntnis erlangen (Art 14 ECR, in Österreich umgesetzt in § 16 E-Commerce-Gesetz (ECG)). Host-Provider dürfen nicht dazu verpflichtet werden, sämtliche Inhalte zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen (Art 15 ECR).

Eine allgemeine Verpflichtung für Host-Provider, sämtliche Kommentare präventiv auf verhetzende Inhalte zu überwachen, würde daher gegen EU-Recht verstoßen. Zulässig sind jedoch Überwachungspflichten in spezifischen Fällen auf Anordnung von Gerichten (Erwäg. 47 und Art 14 Abs 3 ECR, siehe dazu auch EuGH C-324/09 – L’Oréal v eBay).

Zentrales Problem ist daher die Unterscheidung zwischen zulässigen spezifischen und unzulässigen allgemeinen Überwachungspflichten.

Der Schlussantrag des Generalanwalts

Wortgleiche Inhalte

Der Generalanwalt hält zunächst fest, dass von einem Host-Provider verlangt werden kann, jede erneute idente Verletzung des gleichen Nutzers zu löschen. Denn die Verpflichtung, Inhalte von einem einzelnen Nutzer auf eine konkrete Verletzung zu überwachen, sei keine allgemeine Überwachungspflicht.

Dies gelte aber auch für die von anderen Nutzern geposteten wortgleichen Inhalte. Der Host-Provider müsse dadurch zwar sämtliche Inhalte auf seiner Plattform überwachen. Diese Überwachung sei aber auf idente Inhalte und damit auf eine spezifische Verletzung begrenzt.

Die Verpflichtung, wortgleiche Inhalte zu löschen, soll auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Grundrechten gewährleisten, denn eine solche Überwachung bedürfe keineraufwendigen technischen Hilfsmittel und sei daher keine übermäßige Belastung für Facebook. Demgegenüber ist diese Überwachung und Löschung aufgrund der leichten Verbreitung von Inhalten sämtlicher wortgleicher Inhalte notwendig, um einen wirksamen Schutz des Privatlebens und der Persönlichkeitsrechte sicherzustellen.

Sinngleiche Inhalte

Hingegen sei nach dem Generalanwalt aber bei sinngleichen Inhalten, also bei Postings, die etwa eine andere Schreibweise oder Zeichensetzung aufweisen, eine  Überwachungspflicht nur für Inhalte vom ursprünglichen Nutzer zumutbar. Eine Überwachungspflicht für sinngleiche Inhalte von anderen Nutzern wäre eine übermäßige Belastung, da sie technisch hochentwickelter Lösungen benötige. Zudem würde der Hosting-Provider seine Rolle als passiver Vermittler von Inhalten verlassen, diese aktiv mitgestalten und damit eine Art Zensur ausüben und möglicherweise die Meinungsfreiheit verletzen.

Weltweite Geltung der einstweiligen Verfügung

Da die ECR den räumlichen Geltungsbereich der Verpflichtung zur Entfernung von Inhalten nicht regelt, obliegt es nach Ansicht des Generalanwalts den Mitgliedsstaaten, diesen zu bestimmen. Einstweilige Verfügungen können daher potenziell weltweit gelten.

Kommentar

Sollte der EuGH der Meinung des Generalanwalts folgen, würde dies die Rechte von Opfern von Hasskommentaren deutlich stärken, was grundsätzlich begrüßenswert ist. Allerdings sollte in diesem Bereich stets mit Augenmaß vorgegangen werden, da die Grenze zwischen unzulässiger Diffamierung und zulässiger freier Meinungsäußerungen fließend ist und es dabei immer auf den Einzelfall ankommt. Insbesondere der Ruf nach weltweiter Löschung wirft heikle Fragen auf: Was in einem Land als erlaubte Kritik gilt, kann in einem anderen Staat verboten sein.

Eine in Zukunft spannende Frage ist, ob die hier vom Generalanwalt zu Kommentaren entwickelten Grundsätze auch für „modernere“ Formen der Diffamierung gelten. Zu denken ist etwa an Memes (Bilder mit kurzen Text) oder an Deepfakes. Letzteres sind mit Hilfe von künstlicher Intelligenz hergestellte, täuschend echt wirkende Bilder oder Videos. Mithilfe solcher Technologien kann man etwa Politiker erfundene Reden halten lassen (siehe etwa hier). Gegen eine Ausdehnung der hier entwickelten Grundsätze spricht, dass die Suche nach identischen Bildern und Videos mit höherem technischem Aufwand einhergeht, als das Durchsuchen von Text. Die niedrige Belastung bei der Textsuche wurde vom Generalanwalt mehrfach als Rechtfertigung herangezogen. Aufgrund der stetig voranschreitenden Leistungsfähigkeit von Bilderkennungssoftware, handelt es sich dabei aber wohl um ein überwindbares Problem.

Dennoch wird die Unterscheidung zwischen erlaubter Kritik, die auch als Satire und Parodie erfolgen kann, und unerlaubter Diffamierung nur in eindeutigen Fällen ohne kompetente, menschliche Analyse gelingen. Eine sachgerechte und rechtlich vertretbare Bewertung derartiger Sachverhalte ist in vielen Fällen nur kontextbezogen möglich und setzt neben genauer Kenntnis der einschlägigen Judikatur auch soziales, kulturelles und politisches Hintergrundwissen voraus.

Weiters ist noch nicht geklärt, ob Facebook überhaupt als Host-Provider einzustufen ist. Der Generalanwalt konnte darauf nicht eingehen, da dies nicht Teil der Vorlegungsfragen war, lässt aber dennoch anklingen, dass daran Zweifel bestehen (Rz 30 der Meinung des Generalanwalts). Denn selbstverständlich gibt Facebook die nutzergenerierten Inhalte nicht „neutral“ wieder, sondern sortiert Inhalte, von Quellen denen der Nutzer bereits „folgt“, nach einer komplizierten Formel und empfiehlt kontinuierlich neue Profilseiten und Gruppen. Der EuGH wird sich aber einer ganz ähnlichen Frage bald aber sehr wohl widmen. Denn sowohl der deutschen Bundesgerichtshof (C-682/18) als auch der OGH (4 Ob 74/19i) haben angefragt, ob die Video-Plattform YouTube durch ähnliche aktive Eingriffe ihre Stellung als Host Provider verliert. Sollte der EuGH dies bejahen, wäre es nur ein kleiner Schritt zum Verlust der Host Provider Stellung für Facebook. Sollte der EuGH dies bejahen, hätte dies wohl auch Auswirkungen auf Facebook.