Einstweilige Verfügungen (EV) ermöglichen ein rasches und effektives Vorgehen gegen Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums. Dazu werden die Verfahrensrechte der Parteien eingeschränkt und die Beweisanforderungen herabgesenkt. Die österreichische Rechtsordnung sieht aber einen Ausgleich für diese Erleichterungen vor: Im nachfolgenden Hauptverfahrenen wird die Rechtmäßigkeit der EV nochmals überprüft. Stellt sich dabei heraus, dass die EV zu Unrecht erlassen wurde, muss der Rechteinhaber verschuldensunabhängig jeden Schaden ersetzen, der dem angeblichen Rechtsverletzer durch die EV entstanden ist. Dieses System, das sich auch in anderen europäischen Ländern findet, wird aber nun durch die EuGH-Entscheidung Bayer Pharma v. Richter Gedeon and Exeltis, Case No. C-688/17 infrage gestellt.
Der EuGH setzt sich in dieser Entscheidung erstmals mit Art 7 Abs 9 RechtsdurchsetzungsRL auseinander. Diese Bestimmung sieht sinngemäß vor, dass, wenn sich eine EV im Nachhinein als zu Unrecht erweist, der Antragsteller „angemessen“ Ersatz leisten muss. „Angemessen“ bedeutet für den EuGH, dass ein Schadenersatzanspruch in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein muss (Rz 51 der Entscheidung).
Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind daher nicht verpflichtet, automatisch und in jedem Fall den Antragsteller zum Ersatz jedweden Schadens zu verurteilen, der dem Antragsgegner aufgrund einer EV entstanden ist (Rz 52 der Entscheidung).
Auch die ungarischen Haftungsregelung aus dem Anlassfall ist aus Sicht des EuGH unionsrechtlich zulässig. Diese Regelung ist im Vergleich zu Österreich für den Betroffenen einer EV deutlich weniger vorteilhaft. Im Anlassfall wurde sinngemäß entschieden, dass ein vermeintlicher Patentverletzer, gegen den eine EV erlassen wurde, die sich später infolge der Nichtigerklärung des Patents als zu Unrecht erwiesen hat, keinen Schadenersatzanspruch hat, weil er auf eigenes Risiko gehandelt hat und der Antragsteller die EV nicht missbräuchlich beantragt hat.
Nur wenn unter Berücksichtigung aller „objektiver Umstände“ die EV „missbräuchlich“ verwendet wurde (Rz 70 der Entscheidung), sieht das Unionsrecht einen Schadenersatzanspruch vor.
Wann ist aber eine EV missbräuchlich? Dafür bleibt noch Raum zur Diskussion. Ausdrücklich nicht ausreichend jedenfalls ist der reine Umstand, dass die EV später aufgehoben wurde, weil etwa das zugrunde liegende Patent für nichtig erklärt wurde (wie im Anlassfall) oder im Hauptverfahren doch keine Patentverletzung festgestellt werden konnte (Rz 52 der Entscheidung).
Aus österreichischer Sicht stellt sich nun die Frage, ob die strenge österreichische Regelung, die eine verschuldensunabhängige, der Höhe nach unbegrenzte Haftung für jeden Fall vorsieht, im dem sich eine EV im Nachhinein als zu Unrecht erweist, beibehalten werden kann.
- Dies ist nicht zuletzt deshalb fraglich, weil der EuGH betont, dass Schadenersatzansprüche, die allein darauf beruhen, dass eine EV in weiterer Folge aufgehoben wird, dem Ziel der RechtsdurchsetzungsRL zuwiderlaufen würden: nämlich der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für geistiges Eigentum (Rz 65 der Entscheidung).
- Zudem ist nun klar, dass der Begriff „angemessener Ersatz“ als ein autonomer Begriff des Unionsrechts zu betrachten ist, der im Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist (Rz 49 der Entscheidung).
Das letzte Wort ist hier wohl noch nicht gesprochen.