BLOG >>

Ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel: Kein verlängerter Schutz mehr für die zweite Zulassung eines Wirkstoffs

Ergänzende Schutzzertifikate (SZ) verlängern effektiv die durch ein Patent gewährte Exklusivität für Arzneimittel um bis zu 5 Jahre. Dadurch werden Nachteile ausgeglichen, die durch lange Zulassungsverfahren entstehen. Denn zwischen der Anmeldung eines Patentes für einen neuen Wirkstoff und der Arzneimittelzulassung liegen meist Jahre. Ohne Verlängerung wäre der tatsächliche Patentschutz daher so weit verkürzt, dass für die Amortisierung von Investitionen in die Forschung teils keine ausreichende Zeit bliebe.

Voraussetzung für ein Schutzzertifikat ist ein „Grundpatent“ und eine arzneimittelrechtliche Genehmigung für den betreffenden Wirkstoff. Weiters muss diese Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Wirkstoffes (des „Erzeugnisses“ in der Sprache der SZ-VO[1]) sein.[2] So soll eine mehrfache Verlängerung des Patentschutzes für ein „Erzeugnis“ verhindert werden, welche einen ungerechtfertigt langen Schutz bewirken würde.

Zwar kann ein Wirkstoff bzw. „Erzeugnis“ mehrmals Gegenstand eines Patents sein: Zunächst etwa bei der Erfindung des Wirkstoffs selbst und ein weiteres Mal als Gegenstand einer erfinderischen neuen Verwendung (etwa auf einem neuen medizinischen Gebiet oder in einer anderen Verabreichungsform). Das zweite Patent soll dann nach der SZ-VO aber eben nicht mehr auch noch mit einem Schutzzertifikat „belohnt“ werden.

Eine Ausnahme von dieser Regel bestand seit 2012 aufgrund der EuGH-Entscheidung Neurim.[3] Dieser Fall betraf ein Schutzzertifikat für ein Humanarzneimittel, dessen Wirkstoff bereits zuvor als Tierarzneimittel in Verkehr war. Nach dem EuGH war die Erteilung eines Schutzzertifikats für das Humanarzneimittel möglich – obwohl es sich um denselben Wirkstoff handelte – da dieses eine „neue therapeutische Verwendung“ eines bekannten Wirkstoffs betraf.

Diese Rechtsprechung wurde acht Jahre lang gelebt und war Basis für zahlreiche entsprechend erteilte Schutzzertifikate.

Nun vollführt der EuGH aber mit der aktuellen Entscheidung Santen[4] eine Kehrtwende, die auch die bislang erteilten Schutzzertifikate in Frage stellt: Der aktuelle Fall betraf eine SZ-Anmeldung des Pharmaunternehmens Santen für die Verwendung des Wirkstoffes Cyclosporin für Hornhautentzündungen. Dieser Wirkstoff erhielt aber bereits in den 1980er Jahren eine Zulassung für diverse andere Indikationen (u.a. für die Behandlung von Entzündungen der Uvea, eines Teils des Augapfels).

Das vorlegende Gericht wollte nun wissen, unter welchen Voraussetzungen bei der zweiten arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Wirkstoffs von einer „andere Verwendung“ ausgegangen werden kann (wie in der Neurim-Entscheidung ausgesprochen), die die Erlassung eines weiteren SZ für denselben Wirkstoff ermöglicht. Der EuGH meint nun: Grundsätzlich gar nicht! War ein Wirkstoff bereits Gegenstand einer Genehmigung für eine therapeutische Verwendung, kann nach der neuen Rechtsprechung dafür kein SZ mehr erteilt werden.

Dabei stützt sich der EuGH auf eine geradlinige Interpretation des Wortlautes der SZ-VO. Denn der Begriff „Erzeugnis“ ist in der Verordnung klar als der Wirkstoff eines Arzneimittels definiert, ohne dass auf irgendwelche anderen Elemente abgestellt wird (Art 1 lit b SZ-VO). Die Interpretation, dass derselbe Wirkstoff durch eine neue Indikation zu einem anderen Erzeugnis wird, stand daher von Anfang an auf einer wackeligen Grundlage.

Dennoch kommt diese 180°-Wende und völlige Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung überraschend. Unternehmen, die auf Basis der Neurim-Entscheidung Schutzzertifikate erworben haben, konnten sich wohl zu Recht darauf verlassen, dass diese gültig sind. Investitionen (in Forschung, Marketing, etc.) die im Hinblick auf diese Schutzzertifikate getätigt wurden, drohen nun frustriert zu werden. Dies wirft die Frage nach einem Vertrauensschutz für bestehende, auf Basis von Neurim erteilte Schutzzertifikate auf.

Auch rechtspolitisch ist die Entscheidung zu hinterfragen. Die Forschung nach neuen Anwendungen von bekannten Wirkstoffen erfordert oftmals keine geringeren Investitionen als die Forschung nach neuen Wirkstoffen. Neue Anwendungen von Schutzzertifikaten auszuschließen, birgt daher die Gefahr, dass Investitionen in medizinische Innovationen zurückgefahren werden.

Zu beachten ist aber, dass bekannte Wirkstoffe nur dann von der Erteilung eines Schutzzertifikats ausgeschlossen sind, wenn zuvor bereits eine Zulassungerfolgt ist. Ist ein Wirkstoff oder dessen Anwendungen zwar bekannt, wurde für diese in der EU aber nie eine Zulassung erteilt, kann daher dennoch für ein Patent, das die erste medizinische Zulassung des Wirkstoffs betrifft, ein SZ vergeben werden. Unter diesen Umständen können daher grundsätzlich auch weiterhin Second medical use Patente Grundlage eines SZ sein.


[1] VO (EG) Nr. 469/2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel.

[2] Art 3 (d) der VO (EG) Nr. 469/2009.

[3] EuGH 19.07.2012, C-130/11 – Neurim Pharmaceuticals.

[4] EuGH 9.7.2020, C-673/18 – Santen.