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UPDATE – EuGH folgt Generalanwalt und geht sogar noch weiter: Facebook kann verpflichtet werden auch zu Hasspostings sinngleiche Posts löschen

Erklären Gerichte ein Hassposting für rechtswidrig, können sie soziale Netzwerke (hier Facebook) verpflichten, nicht nur dieses Posting zu löschen, sondern auch alle sinngleichen Postings, und zwar selbst dann, wenn diese von anderen Nutzern stammen. EU-Recht steht dem nicht entgegen. Dies hat der EuGH in Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook (C-18/18) festgehalten. Anders als vielfach berichtet gilt diese Verpflichtung für soziale Netzwerke nicht zwingend – der EuGH hat lediglich ausgesprochen, dass nationale Gerichte solche Pflichten auferlegen können.

Zum Hintergrund dieser Entscheidung, die für Facebook wohl den Worst Case bedeutet, haben wir bereits hier berichtet. Kurz zusammengefasst: Die ehemalige Grünen-Chefin Glawischnig ging gegen Facebook gerichtlich vor, da sich der Konzern weigerte, einen für Glawischnig ehrenrührigen Kommentar zu löschen. In diesem Verfahren legte der OGH letztlich dem EuGH die Frage vor, wie weit Löschungsverpflichtungen für Facebook gehen dürfen, insbesondere wenn sie über das konkrete Posting des Nutzers hinausgehen. Nach der E-Commerce Richtlinie (ECR) dürfen Host-Provider nämlich nicht dazu verpflichtet werden, sämtliche Inhalte zu überwachen und aktiv nach rechtswidrige Umständen zu forschen (Art 15 ECR). Allgemeine und präventive Überwachungspflichten sind daher tabu. Auf Anordnung von Gerichten sind jedoch spezifische Überwachungspflichten zulässig.

Der OGH ging im gegenständlichen Verfahren davon aus, dass es sich bei Facebook um einen Host-Provider handelt. Zur Frage, wann ein Plattformbetreiber die Grenze zum Content Provider überschreitet, befindet sich die Rechtsprechung aber gegenwärtig im Fluss (siehe die Vorlageanträge des deutschen BGHs (C-682/18) und des OGHs (4 Ob 74/19i) betreffend der Video-Plattform YouTube).

Löschungspflicht für sinngleiche Kommentare

Der EuGH zieht die Grenze von zulässigen Überwachungspflichten jetzt noch weiter als der Generalanwalt (dazu hier), da er nicht nur eine Löschungsverpflichtung für sinngleiche Postings vom ursprünglichen Benutzer erlaubt, sondern auch für sinngleiche Postings von anderen Nutzern. Dies gilt allerdings weiterhin nicht präventiv, sondern nur wenn im Einzelfall von einem nationalen Gericht aufgetragen.

Zudem fasst der EuGH die Definition von „sinngleichen Informationen“ weiter als der Generalanwalt. Sinngleich sei nämlich eine Information, deren Aussage im Wesentlichen unverändert ist. Denn die Rechtswidrigkeit einer Information ergebe sich nicht aus der Verwendung gewisser Begriffe, sondern aus der damit vermittelten Aussage (Rz 39f der Entscheidung). Der Generalanwalt verstand hierunter nur im Wesentlichen gleiche Postings mit anderer Schreibweise oder Zeichensetzung. Allerdings müssen nach dem EuGH sinngleiche Informationen spezifische Einzelheiten enthalten (zB der Namen der beleidigten Person), die es dem Host-Provider ermöglichen auf automatisierte Techniken für die Löschung zurückzugreifen. Zu einer autonomen Beurteilung in jedem Einzelfall darf der Hosting-Provider nicht verpflichtet werden, dies würde die Pflichten überspannen (Rz 45f der Entscheidung).

Daraus ergibt sich sehr offensichtlich Potential für weitere Auseinandersetzungen. Denn Informationen, bei denen die Aussage ident ist, aber nicht deren Formulierung, sind nur schwer durch automatisierte Techniken zu erfassen. „Sinnerfassend lesen“ können Maschinen nämlich noch nicht und „spezifische Einzelheiten“ können in unterschiedlichen Kontexten ganz unterschiedliche Aussagen haben. Das wird bei dem von EuGH gewählten Beispiel des Namens der beleidigten Person besonders deutlich. Denn etwa der Name von bekannten Politikern wird in sozialen Netzwerken jeden Tag tausendfach verwendet und bei der Beurteilung von zulässiger Kritik und unzulässiger Diffamierung wird man sich hier nur schwer auf „spezifische Einzelheiten“ stützen können.

Den sozialen Netzwerken stellt sich daher keine leichte Aufgabe. Einige Stimmen fürchten schon um die Meinungsfreiheit und sehen Facebook in der Rolle als Richter über zulässige Kritik gedrängt. Dazu ist aber zu betonen, dass Facebook eben nicht dazu verpflichtet wird (und auch nicht durch ein Gericht werden darf), eine „autonome Beurteilung“ darüber vorzunehmen, was erlaubt ist und was nicht. Diese Entscheidung muss durch ein Gericht erfolgen und auch dieses muss sich an den vorgegebenen Rahmen halten. Dies spricht dafür, dass „sinngleiche Information“ doch enger zu verstehen ist, als dass man auf den ersten Blick meinen könnte. Es bleibt daher abzuwarten, wie der OGH die Unterlassungsverpflichtung von Facebook schlussendlich formulieren wird.

Weltweite Geltung der Löschungspflicht?

Nicht minder heftig wurde der Ausspruch des EuGH kritisiert, dass die ECR den Mitgliedsstaaten nicht verwehrt, einem Hosting-Provider aufzutragen, ein Posting weltweit zu löschen. Denn die Meinungsfreiheit, so die Kritik, sei international gänzlich unterschiedlich ausgeprägt und auch autoritäre Staaten könnten eine weltweite Löschung verlangen.

Auch der EuGH teilt diese Bedenken grundsätzlich. So hat er erst im September ausgesprochen, dass das sogenannte „Recht auf Vergessen” im Internet, maximal zur Löschung innerhalb der EU führen darf, denn die Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privatlebens und der Informationsfreiheit könne in jedem Land (auch innerhalb der EU) sehr unterschiedlich ausfallen (siehe C-507/17 – Google (Portée territoriale du déréférencement)).

In vorliegender Entscheidung sprach der EuGH lediglich aus, dass das Unionsrecht keine Regelung darüber enthält, welches Territorium von den gegenständlichen Löschungspflichten umfasst ist. Es obliege daher den Mitgliedsstaaten, dies zu regeln. Die Kritik am EuGH ist daher vor dem Hintergrund zu betrachten, dass ihm mangels einer unionsrechtlichen Grundlage zu territorialer Geltung von Normen (die es in der DSGVO gibt, welche im „Google“-Fall zu Anwendung kam) im „Glawischnig“ Fall die Hände gebunden waren.

Es kommt daher nun dem OGH zu, über die Reichweite der Löschungsverpflichtung zu entscheiden.