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Österreich löst Startschuss für das Einheitliche Patentgericht aus

Am 19.11.2021 setzte das österreichische Parlament einen der letzten notwendigen Schritte für die Umsetzung des EU-weiten Einheitspatentes und die Eröffnung des Einheitlichen Patentgerichts. Der Nationalrat genehmigte das „Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung“, welches den Aufbau des Einheitlichen Patentgerichts ermöglicht. Die Billigung durch den Bundesrat erfolgte am 2.12.2021 und der Staatsvertrag könnte noch vor Weihnachten vom Bundespräsidenten unterschrieben werden. Die für die Umsetzung notwendige Anzahl von 13 Ratifizierungen kann mit der Ratifikation durch Österreich erfüllt werden und die finalen Vorbereitungen können beginnen. Nun werden etwa die zuständigen Richter ernannt und das EDV-System aufgebaut. Diese Vorbereitungsphase wird mindestens acht Monate dauern, kann sich aber auch länger hinziehen. Optimistisch geschätzt könnte das Einheitliche Patentgericht aber bereits in der zweiten Jahreshälfte 2022 seine Tore öffnen.

Das Einheitspatent

Damit wird ein entscheidender Schritt hin zu einem EU-weit einheitlichen Patentsystem getan. Zwar war es bereits bisher möglich, beim Europäischen Patentamt das Anmeldeverfahren für ein Patent für 38 europäische Staaten zu zentralisieren. Nach Erteilung „zerfällt“ ein solches Europäisches Patent aber in nationale Rechte, die genauso behandelt werden wie auf nationaler Ebene erteilte Patente.

Nun kommt die Möglichkeit, ein Patent mit einheitlicher Wirkung für alle der 25 teilnehmenden EU-Staaten zu erhalten. Das künftige System bietet erhebliche Vorteile – birgt aber für Patentinhaber auch Risiken. Denn es gilt (fast1) EU-weit „alles oder nichts“, da das Einheitspatent – neben den niedrigeren Gebühren – zwei entscheidende Neuerungen bringt:

Wirkungen des Einheitspatents

Neu wird beim Europäischen Patentamt ein Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt werden können. Damit kann der erwähnte Zerfall des zentral angemeldeten Patents in nationale Bündelpatente verhindert werden. Das Einheitspatent hat gleiche Wirkung in allen teilnehmenden Staaten und kann nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Staaten beschränkt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen.

Als Folge dessen können Rechteinhaber das Einheitspatent vor einem einzigen Gericht – dem einheitlichen Patentgericht – für alle teilnehmenden EU-Staaten gegen Verletzer durchsetzen. Klagen aufgrund nationaler Patente und nationaler Teilrechte von Europäischen Patenten haben dagegen nur Wirkung für den jeweiligen Staat. Wer daher auf Grund solcher Rechte gegen Rechtsverletzer in der ganzen EU vorgehen will, muss daher oft Gerichtsverfahren in vielen Staaten parallel führen.

Umgekehrt kann das einheitliche Patentgericht aber spiegelbildlich auch mit nur einer Entscheidung ein Patent für alle teilnehmenden EU-Staaten für ungültig erklären. Bisher gab es die Möglichkeit einer Nichtigkeitserklärung für alle benannten Staaten nur innerhalb von neun Monaten ab Erteilung des Patentes durch das Europäische Patentamt – oder danach im Einzelnen vor den nationalen Ämtern.

Das einheitliche Patentgericht

Das einheitliche Patentgericht verfügt über eine Zentrale Kammer in Paris mit Nebenstellen in München und – bis zum BREXIT geplant – London. Nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU und dem Einheitspatentsystem ist noch nicht klar, ob und gegebenenfalls wo eine dritte Nebenstelle gegründet wird.

Neben der Zentralen Kammer existieren diverse lokale und regionale Kammern. Eine lokale Kammer des Gerichts soll im Gebäude des österreichischen Patentamts in Wien angesiedelt werden.

Zuständigkeit des einheitlichen Patentgerichts

Das einheitliche Patentgericht wird einerseits für Einheitspatente zuständig sein2, andererseits auch für Europäischen Patente ohne einheitliche Wirkung.

Für solche Bündelpatente besteht eine überschneidende Zuständigkeit mit den nationalen Gerichten und Patentämtern. Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen können daher gleichermaßen vor nationalen Gerichten/Behörden und dem einheitlichen Patentgericht geführt werden. In den ersten sieben Jahren nach Einführung des Einheitspatentes können Patentinhaber für Europäische Patente ohne einheitliche Wirkung aber ein „Opt-out“ vornehmen. In diesem Fall sind weiterhin nur die nationalen Gerichte für Klagen zuständig. Bei bereits anhängigen Klagen ist kein Opt-out mehr möglich.

Strategische Optionen für Patentinhaber

Patentinhaber stehen daher vor strategischen Entscheidungen.

Zunächst ist bei der Anmeldung zu entscheiden, (a) vor den lokalen Patentämtern nationale Patente anzumelden, (b) das zentralisierte Anmeldeverfahren zur Erlangung eines Europäischen Patentes zu nutzen, das mit der Erteilung in nationale Patente zerfällt oder (c) ein Einheitspatent anzustreben.

Mit der Wahl des Einheitspatents geht die Möglichkeit einher, das Schutzrecht fast EU-weit in einem einzigen Verfahren durchsetzen zu können. Dies gilt künftig auch für Europäische Patente, außer es erfolgt ein Herausoptieren aus der Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts, womit das Risiko vermieden wird, dass ein Patent für fast die gesamte EU mit einer einzigen Entscheidung für nichtig oder nicht verletzt erklärt wird.

Von dieser Entscheidung der Patentinhaber hängt auch ab, wie schnell sich das einheitliche Patentgericht in der Praxis durchsetzen wird. Reagieren Patentinhaber zurückhaltend, werden in den nächsten Jahren noch weiterhin die nationalen Verfahren dominieren.

Ausblick für österreichische Unternehmen

Für den „Normalfall“, also der Anmeldung eines Patents und dessen unbestrittenen Bestands für die gesamte Dauer ist das Einheitspatent ein klarer Vorteil. Ohne besondere Anmeldekosten kann der Schutz für weite Teile der EU einheitlich erreicht werden.

Der Vorteil besteht dem Grunde nach auch im Fall der Notwendigkeit der Durchsetzung des Patents im Fall einer Verletzung. Abzuwarten bleibt, wie die Kosten der Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht ausfallen werden. Diese Frage stellt sich vor allem für Patente, die von ihren Inhabern nur in einem geographisch beschränkten Raum ausgenutzt werden, in dem Verfahrenskosten niedrig sind. Das kann auf österreichische KMUs mit regionaler Tätigkeit zutreffen. Hier sind Szenarien vorstellbar, in denen nationale oder „traditionelle“ Europäische Patente billiger durchgesetzt werden können.

Der für das bestehende System beklagte Umstand der Möglichkeit länderweise unterschiedlicher Entscheidungen kann für Patentinhaber den Vorteil haben, dass ihre Schutzrechte zumindest in einigen Staaten aufrecht bleiben und sie zumindest in einigen Staaten durchgesetzt werden können.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Erhaltung dieser Möglichkeit in manchen Fällen eine strategische Option ist.
Auch auf der Passiv-Seite sind das Einheitspatent und das Einheitliche Patentgericht differenziert zu betrachten.
Einerseits kann eine ungerechtfertigte Klage in einem einzigen Verfahren für alle an dem System teilnehmenden Staaten abgewehrt werden. Nicht nur der fehlende Eingriff kann vom Einheitlichen Patentgericht erkannt werden, auch die Vernichtung des eingeklagten Einheitspatents kann erreicht werden. Auch aus dieser Perspektive eines Beklagten kann das neue System daher vorteilhaft sein.

Einzubekennen ist aber das Risiko, dass die Verteidigung vor dem Einheitlichen Patentgericht aufwändiger ist als sie es vor dem Handelsgericht Wien ist. Dabei ist zu sehen, dass die beklagte Partei hier keine Wahl hat: hat der Kläger ein Einheitspatent angemeldet, muss er eine Verletzungsklage vor dem Einheitlichen Patentgericht einbringen und die beklagte Partei kann sich dagegen nicht wehren.

Eine beachtliche Neuerung besteht auch darin, dass auch vor der lokalen Kammer in Wien Verfahren in englischer Sprache geführt werden können.

Das Einheitliche Patentgericht wird natürlich auch eine eigene neue Verfahrensordnung haben. Diese vereint Einflüsse aus Verfahrensregeln verschiedenere Länder und vor allem in den ersten Jahren des Einheitlichen Patentgerichts werden prozessuale Themen geklärt werden müssen. Das IT-System des Einheitlichen Patentgerichts wird Workflows für den Ablauf von Verfahren vorsehen, deren Kenntnis für Parteienvertreter Voraussetzung für eine professionelle Vertretung sein wird.

Conclusio

Das neue System, bestehend aus Einheitspatent und Einheitlichem Patentgericht ist ein Meilenstein hin zu vereinfacht erreichbarem Schutz von Erfindungen in fast allen EU-Mitgliedstaaten. Für Streitfälle werden die Ziele einheitlichere Rechtsprechung und (angesichts nur weniger Patentverletzungsprozessen in manchen Mitgliedstaaten) qualitative Verbesserung einschlägiger Entscheidungen gewiss erreicht werden. Ein möglicher Nachteil besteht darin, sich auch in Fällen geringerer Bedeutung in dem im Vergleich zu einem österreichischen Prozess möglicherweise aufwändigeren Verfahren ausgesetzt zu sehen.

Dr. Christian Gassauer-Fleissner hat in seiner Rolle als Vorstandsmitglied, Präsident und nunmehr Mitglied des Advisory Boards der European Patent Lawyers Association (EPLAW; www.eplaw.org) an der Ausgestaltung der Prozessregeln für das Einheitliche Patentgericht mitgewirkt und steht Ihnen jederzeit für Rückfragen zur Verfügung.

[1] Nicht dabei sind Spanien, Kroatien und Polen.

[2] Am Abkommen über das Einheitliche Patentgericht nehmen Spanien und Polen nicht teil.