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Kommt nun die Überwachungspflicht? Facebook muss erstmals auch „sinngleiche“ Inhalte löschen

Erste Anwendung der Glawischnig-Piesczek EuGH Entscheidung

Wie berichtet hat der EuGH in der Entscheidung Glawischnig-Piesczek (C-18/18) den möglichen Umfang von gerichtlichen Unterlassungsanordnungen gegen Host-Provider wie Facebook klargestellt. Demnach können Gerichte nicht nur die Löschung des konkreten rechtswidrigen Inhaltes anordnen, sondern auch aller sinngleichen Informationen, und zwar selbst dann, wenn diese von anderen Nutzern stammen.

In einen davon unabhängigen Fall (4 Ob 36/20b) hat der OGH diese Grundsätze erstmals angewendet und eine bemerkenswert weite Unterlassungsanordnung erlassen. Kläger war der Österreichische Rundfunk (ORF) und Facebook erneut Beklagter. Streitgegenständlich war folgendes Foto eines ORF-Moderators, zu dem ein FPÖ-Politiker den Text hinzugefügt hatte: „Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF.“

https://www.ris.bka.gv.at/~/Dokumente/Justiz/JJT_20200330_OGH0002_0040OB00036_20B0000_000/image002.jpg

Die OGH- Entscheidung

Im vorangehenden medien-/strafrechtlichen Verfahren gegen Strache/die FPÖ wurde bereits die Löschung des Eintrags von der Facebook-Seite von H.C. Strache verfügt. Da das Bild aber weiterhin in diversen Forengruppen auftauchte („GIS-Gebühren nein danke“), forderte der ORF Facebook mehrmals auf, dieses Foto zu löschen. Nachdem sich Facebook aber weigerte, reichte der ORF Klage ein und stützte sich hier sowohl auf seine Leistungsschutzrechte an dem Foto als auch auf eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte nach § 1330 ABGB.

Wie schon die Vorinstanzen gab der OGH der Klage statt und erließ zwei Unterlassungsverpflichtungen:

  1. Facebook darf das Foto nicht mehr ohne Zustimmung des ORF verbreiten und
  2. Facebook hat es zu unterlassen,„ die Behauptung der Kläger mache Lügen zu Nachrichten, und/oder gleichsinnige Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten.“

Beide Unterlassungsanordnungen verpflichten Facebook sämtliche darunter fallende Inhalte zu löschen, unabhängig davon von welchem Nutzer diese stammen. Bereits dadurch ist Facebook daher zu einer Überwachung von sämtlichem geposteten Inhalt verpflichtet.

Die zweite Unterlassungsverpflichtung betrifft überdies nicht nur die ursprüngliche Behauptung, sondern auch alle gleichsinniger Aussagen. Hierbei ist besonders interessant, dass der OGH das vom EuGH aufgestellte Kriterium der sinngleichen Informationen in der Entscheidungsbegründung weiter definiert hat:

Der EuGH selbst hatte sinngleiche Inhalte als solche definiert, die im Wesentlichen dieselbe Aussage haben wie die rechtswidrige Information (C-18/18, Rz 39f). Allerdings müssen sinngleiche Informationen „spezifische Einzelheiten“ enthalten, die es dem Host-Provider ermöglichen, auf automatisierte Techniken für die Löschung zurückzugreifen. Zu einer autonomen Beurteilung darf Hosting-Provider nicht verpflichtet werden (C-18/18, Rz 45f). Aus dieser Betonung von einerseits gleichem Aussagegehalt und anderseits der Möglichkeit einer automatisierten, computergestützten Erkennung erwächst jedoch ein Spannungsverhältnis. Denn „sinnerfassend lesen“ können Maschinen noch nicht (ausreichend) und „spezifische Einzelheiten“ können je nach Kontext ganz unterschiedliche Aussagen haben.

Der OGH entscheidet diese Abwägung gänzlich zugunsten des gleichen Aussagegehalts und lässt das Kriterium einer maschinengestützten Erkennbarkeit fallen. Dies sei nach dem OGH zulässig, da die Mitgliedsstaaten nach dem EuGH bei der Umsetzung der einschlägigen E-Commerce-Richtlinie (EU-RL 2000/31) einen weiten Ermessensspielraum haben. Weiters sei die einzige Grenze für Unterlassungsanordnung, dass diese zu keiner allgemeinen Verpflichtung für Host-Provider führen dürfen, aktiv nach rechtswidrigen Umständen zu forschen; die Möglichkeit automatisierte Techniken einzusetzen, könne daher nicht entscheidend sein.

Nach dem OGH sei eine Information daher sinngleich, wenn sich eine „Kern-Übereinstimmung“ auf den ersten laienhaften (menschlichen) Blick ergibt oder durch technische Mittel (zB Filtersoftware) festgestellt werden kann.[1]

Dadurch wird Facebook aber eine Herkulesaufgabe gestellt. Alleine auf den Facebook-Seiten des ORFs selbst gibt es Abertausend Kommentare. Darunter finden sich auch nach wie vor einige Kommentare, die dem ORF das Verbreiten von „Fake News“ und Ähnliches vorwerfen. Ein Laie würde darin im Kern wohl dieselbe Aussage erblicken wie im Vorwurf, der ORF mache Lügen zu Nachrichten, bedeutet der Ausdruck „Fake News“ doch gerade erfundenen bzw. erlogenen Nachrichten. Dies wirft die Frage auf, ob Facebook bereits aufgrund der Ersichtlichkeit solcher Kommentare gegen die Unterlassungsanordnung verstößt und der ORF daher bei einem Exekutionsgericht Beugestrafen von bis zu € 100.000,- pro Tag beantragen kann.

Solche Beugestrafen sind abhängig vom Verschulden des Verpflichteten. Dieser muss daher die tatsächliche Möglichkeit gehabt haben den Verstoß zu verhindern und diese fahrlässig oder vorsätzlich nicht wahrgenommen haben.

Facebook muss daher alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um die Verbreitung untersagter Kommentare zu verhindern. Was sind aber zumutbare Anstrengungen für Facebook?

Legt man einen strengen Maßstab an, könnte man einen Verstoß schon in dem Moment erblicken, in dem nur ein verbotener Kommentar auf Facebook zu lesen ist. Um Strafen zu vermeiden, müsste Facebook daher jeden Beitrag kontrollieren, noch bevor er veröffentlicht wird. Da keine Filtersoftware perfekt ist und es auf den menschlichen Blick ankommt, müsste solch eine Kontrolle zumindest bei Auffälligkeiten auch durch einen Menschen erfolgen. Solch eine Kontrolle vor Veröffentlichung würde sich mit dem derzeitigen Geschäftsmodell von Facebook aber wohl kaum vereinbaren lassen. Einige Onlineforen – etwa von österreichischen Tageszeitungen – setzen allerdings sehr wohl auf eine Vorkontrolle.

Richtigerweise sollte man nach Ansicht des Autors angesichts der Gefahr einer Zensur durch Overblocking Limitationen der Plattformen anerkennen und eine Haftung für (mehr oder weniger)  vereinzelte oder nur für kurze Zeit ersichtliche Inhalte verneinen.

Welches Modell österreichische und schlussendlich wahrscheinlich auch europäische Gerichte hier einsetzen werden, wird wohl wesentlichen Einfluss darauf haben, wie Facebook und Co ihre Seiten in Zukunft gestalten müssen.

Räumlicher Geltungsbereich der Unterlassungsanordnung

Nach dem EuGH obliegt es den Mitgliedsstaaten, zu regeln, welche Territorien von Unterlassungsanordnungen umfasst sind. Auch eine weltweite Löschungsverpflichtung ist daher nicht unionsrechtswidrig.

Der OGH hat im gegenständlichen Fall eine Unterlassungsanordnung jedoch nur für Österreich erteilt. Facebook braucht die Inhalte daher nicht gänzlich löschen. Es genügt eine Zugangssperre für österreichische Nutzer durch Geo-blockig. Bezüglich der Ansprüche des ORF basierend auf dem Leistungsschutzrecht am Bild begründet dies der OGH mit dem immaterialgüterrechtlichen Territorialitätsprinzip. Der vom Kläger in Anspruch genommene Schutz nach österreichischem Urheberrecht könne sich nur auf Österreich beziehen.

Anderes gilt jedoch für den Schutz von Persönlichkeitsrechten. Solche Rechte sind grundsätzlich nicht territorial begrenzt. Unterlassungsanordnungen etwa aufgrund einer Beleidigung können prinzipiell weltweite Geltung haben. Dazu ist es nach der Rechtsprechung des OGH aber notwendig, dass dies der Kläger ausdrücklich verlangt. Da dies der ORF unterlassen hat, war im gegenständlichen Fall auch keine weltweite Unterlassungsanordnung zu erlassen.

Theoretisch könnte der ORF aber in einer erneuten Klage sehr wohl eine weltweite Löschung wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte beantragen.


[1] Bemerkenswert ist auch, dass diese Definition Inhalte umfasst, denen menschliche Laien keinen gleichen Sinn entnehmen können, eine Software aber schon.